5 Jahre AGG – 5 Forderungen Leiterin der Antidiskriminierungsstelle fordert stärkeren Diskriminierungsschutz in Deutschland

Pressemitteilung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Nr. 18/2011 vom 16. August 2011


Am 18. August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Gleichzeitig wurde die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) eingerichtet. Anlässlich des fünften Jahrestags fordert Christine Lüders eine Verbesserung des Diskriminierungsschutzes.

 

„Das AGG hat in Deutschland ein wichtiges Signal für eine gerechtere Gesellschaft gesetzt“, sagt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Ziel des Gesetzes ist, Diskriminierungen aus rassistischen Gründen und wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Diskriminierung sei aber immer noch Alltag in Deutschland, sagt Lüders. „Wir müssen den Diskriminierungsschutz weiter stärken. Die bestehenden Regelungen reichen noch nicht aus, um Diskriminierungen konsequent abzubauen.“

 

1. Klagerecht für Verbände und die Antidiskriminierungsstelle

Als wichtigste Forderung nennt sie ein Klagerecht für Antidiskriminierungsverbände und die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Laut AGG müssen Betroffene in Deutschland persönlich klagen. „Nur wenige Menschen trauen sich aber, gegen den eigenen Arbeitgeber oder Vermieter vor Gericht zu ziehen“, erklärt die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle. Auch schreckten viele wegen der Kosten einer Klage davor zurück. „Wer geht denn das Risiko ein, alleine gegen einen großen Konzern vor Gericht zu ziehen?“ Oft hätten Diskriminierungen deshalb keinerlei Konsequenzen, „das ist fatal für eine moderne Gesellschaft“. Lüders weist darauf hin, dass die Mehrheit der Antidiskriminierungsstellen in EU-Mitgliedstaaten bereits ein Klagerecht hat, wie etwa in Irland, Großbritannien, Belgien und zahlreichen osteuropäischen Ländern.

 

„In Deutschland haben bislang Betriebsräte, Gewerkschaften, Verbraucher- und Naturschutzverbände Klagerechte“, sagt Lüders, „ein Klagerecht sollte auch für Antidiskriminierungsverbände geschaffen werden, um die Rechtsdurchsetzung zu stärken.“ Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes könne im Fall einer Diskriminierung zwar Arbeitgeber, Vermieter oder Versicherungen anschreiben, um eine gütliche Einigung zu erzielen. „Doch wir können nicht juristisch gegen sie vorgehen, wenn sie sich darauf nicht einlassen“, sagt Lüders.

 

2. Härtere Sanktionen bei Diskriminierung

Weiterhin fordert Lüders Diskriminierung härter zu ahnden. „Diskriminierung ist kein Kavaliersdelikt. Sie verletzt die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte von Menschen, gefährdet den sozialen Zusammenhalt und schadet der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland“, sagt Lüders. Die Wirksamkeit von Diskriminierungsverboten stehe und falle mit Sanktionen im Diskriminierungsfall. „Die europäischen Vorgaben sprechen eine eindeutige Sprache: Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.“

 

3. Verlängerung der Fristen im AGG

Lüders macht auch deutlich, dass Menschen mehr Zeit gegeben werden muss, um gegen Diskriminierung vorzugehen oder eine gütliche Einigung zu erreichen. Sie fordert eine Verlängerung der Fristen im AGG. „Diese Fristen entsprechen nicht der Lebensrealität. In vielen Fällen erschweren diese engen Fristen auch eine gütliche Einigung, weil die Betroffenen gezwungen sind, sofort mit einer Klage zu drohen“, erläutert Lüders. Bisher sieht das AGG vor, dass Menschen, die diskriminiert wurden, innerhalb von 2 Monaten ihre Ansprüche schriftlich geltend machen müssen. Oft wenden sich allerdings Menschen an die Antidiskriminierungsstelle, die Monate vorher diskriminiert wurden und nicht wussten, dass oder wie man sich wehren kann. „Wenn die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine gütliche Streitbeilegung anstrebt, müssen für die Betroffenen zudem die Fristen ausgesetzt werden“, betont Lüders.

 

4. Politik und Verwaltung: Diskriminierung verhindern – Vielfalt stärken

Auch Politik und Verwaltung fordert Lüders auf, stärker gegen Diskriminierung vorzugehen und Chancengleichheit umzusetzen. „Gesetze und Verordnungen müssen auf diskriminierende Regelungen hin überprüft werden“, so Lüders. „Der öffentliche Dienst muss Offenheit und Fairness vorleben.“ Als Beispiele nennt Lüders den Abbau von Altersgrenzen, die Förderung von Vielfalt im öffentlichen Dienst und den weiteren konsequenten Abbau von Barrieren für Menschen mit Behinderungen in Ämtern und Behörden.

 

5. Diskriminierungsschutz für chronisch Kranke

Anlässlich eines Urteils des Berliner Arbeitsgerichtes bekräftigt Lüders auch ihre Forderung, chronisch Kranke besser vor Diskriminierungen zu schützen. Das Gericht hatte entschieden, dass die Kündigung eines Beschäftigten aufgrund einer HIV-Infektion nicht gegen das AGG verstößt. Dazu erklärt Lüders: „Dieser Fall zeigt klar, dass wir eine entsprechende Regelung finden müssen.“ Auch hier seien viele andere EU-Staaten weiter: England zum Beispiel zähle in seinem Antidiskriminierungsgesetz ausdrücklich HIV, Multiple Sklerose und Krebs auf. Die Gesetze in Belgien, Finnland, Frankreich, Lettland, Slowenien, Tschechien und Ungarn schützten vor Diskriminierungen wegen des Gesundheitszustands. Und in den Niederlanden und Rumänien würden chronische Krankheiten als eigenes Diskriminierungsmerkmal genannt.

 

5 Jahre AGG - 5 Jahre ADS: Bilanz der Antidiskriminierungsstelle

Seit ihrem Bestehen haben die ADS rund 12000 Anfragen zum Thema Diskriminierung erreicht. Unter den Diskriminierungsfällen, auf die das AGG anwendbar ist, bezogen sich jeweils rund ein Viertel auf  das Thema Behinderung und Geschlecht, je ein Fünftel auf Alter und  ethnische Herkunft. 4, 5 Prozent betrafen die sexuelle Identität und 5, 5 Prozent  Religion oder Weltanschauung.

 

Zu den gesetzlichen Aufgaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zählen Beratung, Forschung, Öffentlichkeitsarbeit sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierung. So hat die ADS neben ihrer Beratungsarbeit auch zahlreiche Studien veröffentlicht, öffentlichkeitswirksame Kampagnen durchgeführt und wichtige Projekte initiiert:

  • 2010 hat die Antidiskriminierungsstelle das einjährige Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ gestartet, um mehr Chancengleichheit bei Bewerbungen zu erreichen.
  • 2011 hat sie die „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“ gestartet und fördert inzwischen die Gründung von Antidiskriminierungsnetzwerken sowie die Arbeit bereits bestehender Beratungsstellen.
·         2012 legt die ADS den Schwerpunkt auf das Thema Altersdiskriminierung und wird mit zahlreichen Veranstaltungen, der Unterstützung von Prominenten und einem deutschlandweiten Aktionstag für ein diskriminierungsfreies Miteinander zwischen Menschen jeden Alters werben.